Mit den Ellenbogen drängeln und möglichst weit nach vorne kommen. Auch auf Kosten anderer. Ist das eine Grundbedingung unseres Zusammenlebens? fragt Pfarrerin Annika Marte zum Predigttext über die Söhne des Zebedäus. Jesus hat eine Antwort gegeben: So soll es unter euch nicht sein! (Matthäus 20,26Diese Ansage stellt alles auf den Kopf, sagt die Predigerin. Sie ist krass und radikal. Jesus hat diese Antwort gegeben, einfach rausgehauen. 

Im Versuch einer Nachfolge Jesu ist der Arzt und Theologe Albert Schweitzer (1875-1965) einen anderen Weg gegangen. An mehreren Stationen seines Lebens hat er umgedacht, ist schließlich nach Afrika gegangen, um ein Krankenhaus einzurichten. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich im Februar einen Tag lang mit dem Umdenken von Schweitzer beschäftigt, mit seinem Satz vom eigenen Lebenswillen inmitten von anderem Leben, das leben will. Begleitet von Mitgliedern der Albert-Schweitzer-Stiftung stand am Ende des Tages die Einsicht, dass dieses Lebensrecht für alle Lebewesen gilt, auch für Tiere. 

Das hinterlässt ein Unbehagen, Fragen zur persönlichen Lebensweise, zu den eigenen Ernährungsgewohnheiten. An dieser Stelle nimmt die Pfarrerin den Predigttext wieder auf: Jesus hat eine Alternative vor Augen, wenn er sagt: So soll es unter euch nicht sein: Dass es immer Gewinner und Verlierer gibt. Dass es immer Erste und Letzte gibt. Dass es immer Reiche und Arme gibt. Dass es immer Unterwerfer und Unterworfene gibt. Dass es immer Machthaber und Leidende gibt. So soll es unter euch nicht sein.

Kann diese Art von Beziehungen im Zusammenleben überwunden werden? Gibt es ein Drittes zwischen Dienen und Herrschen, etwas, das die Herrschaft aufhebt? Auf der Suche nach einer Antwort begegnet Annika Marte dem Schweizer Theologen und Lyriker Kurt Marti, seinen Gedanken zu einer geselligen Gottheit, die weder Berührungsängste noch hierarchische Attitüden kennt, eine Gottheit, die vibriert vor Lust, vor Leben, die überspringen will auf alles, auf alle. Und in deren Nähe auch Tiere Frieden und die Möglichkeit finden, einfach so zu leben, wie es in ihnen angelegt ist. Er fragt: Warum überhaupt schreiben wir Engeln stets Menschengestalt zu? Und was geht alles verloren, nur weil wir nicht umdenken und unsere Lebensweise korrigieren? Mit Flussauen verschwinden Bachstelzen, Wasseramseln, Sandregenpfeifer, Flussuferläufer und selbst die Libellen, älter als alle Insekten und Vögel. Dabei, so formuliert Marti, sind doch alle Tiere krabbelnde, kriechende, schwimmende, fliegende Fantasien der geselligen Gottheit.

Es ist nicht nur eine Forderung, es ist auch eine Einladung, sich vom Zwang zu befreien, immer nach vorn drängeln zu müssen, ohne auf andere Mitgeschöpfe zu achten. Mit dieser Einladung schickt Annika Marte die Gottesdienstgemeinde auf den Weg in den Sonntag und darüber hinaus: Ich glaube, dass wir heute alle umdenken müssen und dürfen, im Kleinen und im Großen.

 

 

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