Auf dem Weg der Passionszeit gibt es Erleiden und Schweigen, aber auch Verändern und Aussprechen. Dazu braucht es Mut. Ein Mut, der mit dem Anschauen von Angst beginnt und weiß, dass es Größeres gibt als Angst. Das ist im Taufspruch von Leon enthalten, der heute getauft wird, elf Wochen vor der Konfirmation: Denn alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt (Markus 9,23).

Mut braucht es auch, um sich dem Predigttext zum Sonntag Reminiscere auszusetzen, über die gewalttätigen Pächter im Weinberg (Markus 12, 1-12), die die Knechte des Weinbergbesitzers schlagen und töten, zuletzt auch dessen einzigen Sohn. Pfarrerin Annika Marte bahnt einen Weg durch das Versteckspiel dieses Gleichnisses: Die Pächter blenden völlig aus, dass der Grund und Boden, auf dem sie leben und arbeiten, nur geliehen ist. Der Predigttext zeigt, wie eine Gesellschaft aussieht, die gegen den ankämpft, der uns unsere Lebensgrundlage zur Verfügung stellt, eine Gesellschaft, in der Menschen einzig und allein in ihre eigene Tasche wirtschaften, um den Besitz zu vermehren.

Eine solche Lebensweise führt zu Mord und Totschlag. Die Pächter haben den Horizont einfach weggewischt, sind darum ohne Grenzen. Sie haben die Erde von der Sonne losgekettet, sind darum ohne Halt. 

Wir sind heute Pächter, die nicht viel anders agieren als die in Jesu Gleichnis. So fragt die Pfarrerin: Ist nicht auch in unserer Gesellschaft der Horizont verwischt, wenn in unseren Banken und Wirtschaftssystemen keinerlei Mechanismen vorhanden sind, um die Macht und Geldgier Einzelner einzuschränken? Ist nicht der Horizont längst schon verschwunden, wenn die Welt geteilt ist in Länder, die vom globalen Wirtschaftssystem profitieren und Länder, die immer verlieren? Und was sind die Visionen und Leitmotive unserer Gesellschaft? Oder haben wir nicht schon die Erde von ihrer Sonne losgelöst und damit jeden Sinn für Richtung verloren? In einer Gesellschaft, in der oft persönliche Bereicherung über alles geht, in einer Gesellschaft, in der Leistung, Erfolg und Gewinn Maximen der Zukunft sind und klebrige Kinderhände die Ausnahme. Wohin bewegen wir uns da? 

Der zweite Sonntag der Passionszeit trägt den Namen Reminiscere - Erinnern. Dazu gehört das Erinnern, dass die Erde nicht unser Eigentum ist, dass wir sie geliehen bekommen haben, um mit allen anderen Mitgeschöpfen auf ihr zu leben. Solches Erinnern zu Ende gedacht bleibt nicht ohne Folgen: Werden wir dann nicht bereit sein zu teilen, müssen wir dann noch anhäufen? 

Das Erinnern in dieser besonderen Beziehung ist ein zweiseitiges. Der dem Namen des Sonntags zugrunde liegende Psalmvers 25,6 bittet Gott darum, dass er sich erinnern möge an seine Barmherzigkeit und Güte. Solches Erinnern, so schließt Annika Marte, macht uns frei, all das zu sehen, was gut ist bei uns und heil, die Augen zu öffnen für das, was wir geschenkt bekommen haben, die Augen zu öffnen für alle Situationen, in denen wir anderen Menschen etwas geben und gerade dadurch beschenken. Das verändert vielleicht noch nicht so bald das herrschende Wirtschaftssystem, macht es aber erträglicher. Und teilen macht einfach mehr Spaß als anhäufen.

 

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