Die Fastenzeit hat begonnen. Eine Zeit der Betrachtungen, auch von Gesichtern. So steht die Aktion Sieben Wochen Ohne in diesem Jahr unter dem Motto: Du bist schön. Sieben Wochen ohne Runtermachen. 

Schön? Was ist schön? Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire hat auf diese Frage geantwortet, dass das Schöne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist. ... Das Schöne besteht aus einem ewigen, unveränderlichen Element... und einem relativen, von den Umständen abhängigen Element. Schön ist was ganz anderes als perfekt, es vereint die Ahnung von Ewigem mit Vergänglichem, mit dem Veränderlichen, mit der Unzulänglichkeit - also mit dem Menschlichen. Oft ist es gerade das Unvollständige, das Fragmentarische, das Defekte, das Unerfüllte, das schön ist, das uns mit Liebe erfüllt. 

Schönheit zeigt sich unmaskiert, wenn sich Menschen in ihrem authentischen So-Sein zeigen können, nicht nur in ihrer gesellschaftlich angeeigneten oder zugeteilten Rolle zeigen müssen. Auch wenn Männer ihre weiblichen Seiten zeigen, und Frauen ihre männlichen. Wir sind schön, weil wir Teil der Schöpfung sind.

In unverstellten Begegnungen lässt sich Gegenwart Gottes erahnen. Manchmal in den Menschen, die wir jeden Tag sehen und die uns deswegen besonders vertraut sind. Manchmal in Menschen, die wir nur ein einziges Mal sehen, flüchtig, aber vielleicht mit einem Lächeln, das uns noch eine Weile im Sinn bleibt. In Menschen, die fröhlich sind und in Menschen, die leiden.

Ich vermisse einen Mann, der das ganze letzte Jahr vorm Hauptbahnhof saß. Mit langen Haaren und einem offenen, aber ziemlich frustrierten Blick. Die meiste Zeit hockte er nur still da. Den ganzen Tag, am Morgen, am Abend. In der Nacht legte er sich auf den kalten Boden, kuschelte sich in den Schlafsack, drückte sich gegen die Wand. Etwa einmal in der Woche hat er gefragt: Hast du mal ein bisschen Kleingeld? Er war einfach nur da, ohne eine Rolle, in seiner schlichten Bedürftigkeit. Seit Ende Januar ist er nicht mehr da, einfach verschwunden. Der Ort, an dem er immer saß, hat sich verändert. Wo ist er geblieben?! 

Und das Runtermachen? Manchmal schauen wir auf andere herab, wenn sie nicht so leistungsfähig sind. Oder wenn sie uns hässlich vorkommen, vielleicht seit ihrer Geburt oder nach einem Unfall und dann nicht der Vorstellung von einem schönen und effizienten Menschen entsprechen. Den Vorstellungen, die von den Medien oder der Werbung vermittelt werden. Die Fastenaktion der evangelischen Kirche lädt dazu ein, sich selbst als schön wahrzunehmen und das Schöne am Befremdlichen des Nächsten zu entdecken: Halten Sie inne, wenn Sie am eigenen Körper mal wieder Abweichungen von der Traum­figur feststellen, wenn Sie Ihrem Nachwuchs die exotische Frisur verübeln oder dem Nachbarn den Gesang unter der Dusche. 

In den kommenden Wochen bestimmt der Weg nach Jerusalem, der Weg zum Kreuz, zum Leid, das Kirchenjahr und vielleicht unser Leben. An diesem Weg liegen Leid und Gottes Glanz nebeneinander, sind ineinander verwoben. Diese Zeit lädt dazu ein, bewusster hinzuschauen, auf das, was schön ist, sich darauf einzulassen, auf Mitgeschöpfe zu achten (zu denen auch Tiere und Pflanzen gehören) und andere einfach mal anzulächeln.   

 

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