Predigt im Festgottesdiest

zur Einführung Pfarrerin Anja Harzke 30.8.2020

Predigt zu Jesaja 29, 17-24

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. amen

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

„I have a dream“ diese große Rede von Martin Luther King, sie jährt sich gerade vorgestern.

I have a Dream" - Ich habe einen Traum, eine Rede die - so kann man ohne Übertreibung sagen - die Welt veränderte. Sie hat die Menschen ins Mark getroffen - vor 57 Jahren bei dem Marsch auf Washington und seitdem unzählige Menschen. Ich erinnere mich noch gut daran, sie als etwa 16 Jährige in einem Film gesehen zu haben. Diese hypnotischen eindringlichen Worte, dieses prophetische Kraft , hat mich nachhaltig beeindruckt. Ich habe einen Traum – dass diese Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist.

Diese Rede wird gerade wieder von einer große Zahl von Menschen in den USA und weltweit - zitiert um zu sagen: Wir haben einen Traum – wir geben nicht auf - und das in einer angespannten, von Zynismus und Gewalt und Armut geprägten Lage. Da zitieren Viele diese Rede von Träumen und von Hoffnung.

Zugegebenermaßen sind wir nicht in Washington, USA, sondern am Dornbusch in Frankfurt und da ist dann doch manches anders.

Doch angesichts von Zynismus, verhärteten Fronten und Gewalt fällt es auch mir zunehmend schwer noch zu staunen und an Visionen und Träume zu glauben. Die Nachrichten lassen mich abstumpfen, selbst der Zorn über Unrecht lässt nach, ich bin taub geworden für manches Elend in den Nachrichten. Das mag an der Reizüberflutung liegen oder auch an meinem fortgeschrittenen Alter. Manches mal scheint fast alles in Trümmern zu liegen.

Und dann kommt mitten hinein in dieses Trübe und in das Dunkelgrau das Licht eines großen Hoffnungstextes. Der heutige Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja malt die großen Visionen- die auch Martin Luther King vor Augen hatte:

"Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände- seine Kinder- in ihrer Mitte werden sie meinen Namen heiligen; und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geiste werden Verstand annehmen und die welche murren, werden sich belehren lassen."

Er hat alles verloren, den schönen Innenhof, die Teller mit den blaugrünen Ornamenten, seine Backstube und den täglichen Weg dorthin, seine Freunde und Nachbarn und die geselligen Abende mit frischem Brot, Hummus und Oliven. Er hat noch vielmehr verloren: seinen Glaube an Gerechtigkeit, seine Hoffnung auf Hilfe, seine  Zukunft , er hat den Boden unter den Füßen verloren. Jetzt wohnt er auf fremden Boden, weit weg nach schrecklicher Flucht von Zuhause. Ein neues Land, neue Sprache, neue Nachbarn. Alles ist fremd. Er kennt keinen. Die Träume sind dahin.

Siehe es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden. Und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem heiligen Israels, denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein.“

Wie bei ihr. Sie hat alles verloren. Allein nach all den Jahren Ehe, keine gemeinsamen Planungen mehr, kein gemeinsames Frühstück, der Alltag zu zweit vorbei, kein nettes Weihnachtsessen bei den Schwiegereltern mehr, die gemeinsamen Freunde wenden sich ab - mit Getrennten will man nichts zu tun haben, Scheidungen stecken an. Das Geld ist auch knapp. Da sitzt sie allein. Die Einsamkeit und Leere dringt durch die Ritzen in der neuen Wohnung. Die Nachbarinnen kennt sie nicht. Sie hat den Glauben an die Liebe verloren. Und die Hoffnung verloren noch einmal wieder froh und unbeschwert zu werden

"Siehe, es ist noch ein kleine Weile und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn und die Ärmsten unter den Menschen werden wieder fröhlich sein."

Ich möchte träumen können wie Jesaja, als er alles verloren hat. Seine Nachbarn, sein Haus, sein Land . Er hat den Boden unter den Füßen verloren, lebt jetzt auf fremden Boden. Doch er hört nicht auf zu träumen

Er spricht diese Worte in eine hoffnungslose Zeit hinein damals vor 2000 Jahren. Er redet zu seinen Landsleuten, die furchtbar leiden unter schlimmen Zuständen:

Tyrannei, Krieg, Unterdrückung, Unrecht, Not. Wir könnten jetzt auf die damalige Situation im Lande Israel schauen. Aber das ist gar nicht nötig: Tyrannen, Spötter, Unheil, Unrecht. Das gibt es auch heute noch in so vielen Gegenden der Welt. Und ist uns nicht fremd. Und eine Pandemie noch dazu!

„Siehe, es ist noch eine kleine Weile so soll der Libanon fruchtbares Land werden und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn und die Ärmsten werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.“

Da wird das große Friedensreich, das große Hoffnungsbild gemalt: Im Schatten der Bäume werden sie sitzen bei Wein und Oliven und frisch gebackenes Brot essen, Brot aus dem Weizen der eigenen Felder, Obst von den Bäumen im Garten. Abends werden sie in ihren Häusern schlafen ohne Bombenhagel und Kriegsgetöse schlafen.

„Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches und die Augen der Blinden werden aus der Dunkelheit und Finsternis sehen und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn."

Sie werden in die Gesichter fröhlicher Menschen blicken, die zusammen feiern - Es ist Gott selber, der die Dinge in die Hand nehmen wird. Gott selbst zeigt sich dem Propheten Jesaja als Grund der Hoffnung und entwirft diese Vision des großen Friedensreiches. Es ist noch ein kleine Weile - aber es kommt.

Wie gut, wenn wir Gott das zutrauen und von ihm erwarten. So wie der Apostel Paulus die wunderschöne Formulierung vom „Gott der Hoffnung“ findet. Denn die brauchen wir und sie wird uns hoffentlich immer wieder ins Herz gegeben.

Der Gott der Bibel ist der Gott der Hoffnung , der uns durch die Geschichte immer wieder zuruft: Fürchtet euch nicht - es wird gut werden. Durch die Zeiten hindurch – über den Tod hinaus. Und das haben wir bitter nötig.

Ich werde bei euch sein und den Bedrückten und Elenden wird die Last genommen, die jetzt blind sind werden sehen, die Hungrigen werden satt. Die Tyrannen vom Thron gestoßen. Die Verwirrten werden Verstand annehmen- oh ja, wie sehr wir das gerade jetzt brauchen.

Das sind unsere Visionen und wir alle werden gebraucht und bauen mit an einer besseren Welt, an der Kirche, an den Gemeinden vor Ort, hier an der Dornbuschgemeinde. Oder wo wir sonst sind. Ja: Am Reich Gottes! Darunter tun wirs nicht. Wir bauen mit am Reich Gottes – hier an unserem Platz und mit unseren Begabungen. Wir lassen uns von Jesaja mit hineinnehmen und arbeiten gegen die Resignation und Hoffnungslosigkeit an.

Miteinander bauen wir am Haus Gottes: Ältere und Junge, Kitakinder, Schüler und Konfis und Seniorinnen, Kirchenvorstände, Hauptamtliche und Ehrenamtliche, Musikerinnen und Erzieherinnen, Pfarrerinnen und Hausmeister, Sekretärin und all die vielen, vielen Engagierten - wir alle tragen unseren kleinen Anteil dazu bei, dass die Vision des Jesaja lebendig bleibt.

Wir geben die Hoffnung nicht auf und wir haben einen Traum!

Martin Luther Kings Rede hatte und hat auch deshalb solch eine Kraft, weil sie die Bilder des Propheten Jesaja aufgreift. Diese alten Verheißungen, die Menschen Hoffnung gaben und geben, die über uns hinaus weisen. Die uns einordnen in die lange Reihe von Menschen, die sich auf Gottes Weg machen über Zeit und Ewigkeit hinaus. Die vor uns waren und die nach uns kommen. Und so können wir an Martin Luther Kings Traum anschließen und ihn weiterträumen

I Have a dream. Ich - ja, wir haben einen Traum, dass wir nicht in unserer Angst und Hoffnungslosigkeit, in den Ungerechtigkeiten und dem Hass verharren müssen

Wir haben einen Traum, dass Menschen jeden Glaubens, dass Menschen jeder Hautfarbe hier sicher und frei und in Frieden leben können.

Wir haben einen Traum, dass keiner mehr weiß, was Antisemitismus ist und wir selbstverständlich als Brüder und Schwestern zusammenleben und unser Glauben uns gegenseitig bereichert.

Wir haben einen Traum, dass Verfolgte, die Angst um Leib und Leben haben und Zuflucht suchen, sie auch bekommen.

Wir haben einen Traum, dass wir gemeinsam alles tun, um unsere Erde zu bewahren und mit den Jugendlichen unsere Kräfte einsetzen – gegen unsere Bequemlichkeiten.

Wir haben einen Traum, dass wir zusammen halten auch in Pandemiezeiten, uns nicht auseinander dividieren lassen in die, mit guter finanzieller Absicherung und die, die in unsicheren Jobs die nicht mehr wissen, wie es weiter gehen soll.

Wir haben einen Traum , dass wir als Christinnen und Christen, als Jüdinnen und Juden, als glaubende Menschen unsere gemeinsame Aufgaben erkennen - über Gemeinde- und Konfessionsgrenzen hinweg – über Religionsgrenzen hinweg - einander die Hoffnung und die Liebe Gottes weitergeben und dabei niemanden außen vor lassen.

Wir haben einen Traum, dass wir niemanden allein lassen in diesen Zeiten des Virus und die Menschen in den Heimen und Kliniken nicht vergessen, sondern bei ihnen sind.

Wir haben einen Traum, dass es noch ein kleine Weile ist und dann ein Ende hat mit den Lügnern, Spöttern und Tyrannen, und das Haus Jakob nicht mehr beschämt sein soll und sie fröhlich sein werden in dem Hause Israels.

Und sie werden beisammen sitzen: Neuzugezogene und Fremde und Einheimische, Einsame und Paare und Familien, Alte und Junge, Ärmere und Reichere, Gesunde und Kranke, Trauernde und Frohe, und sie werden es sich gut gehen lassen bei Brot und Oliven, bei Bier und Wein und bei Weck und Worscht. Und alle sind eingeladen.

Amen!

„Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.“ (Römer 15, 13)

Amen!

Pfrn. Anja Harzke

Breadcrumbs